Irrtum Schnelldenker - Vorfahrt für Macher?
Aus der Serie: Irrtümer zum Erfolg
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Sie fallen anderen laufend ins Wort, wissen immer was zu tun ist, erwarten als Chef unbedingten Gehorsam und treffen schnell ihre Entscheidungen. Wer kennt sie nicht und wer hat nicht unter ihnen gelitten? – Unter den Schelldenkern.
Doch sie erfreuen sich großer Beliebtheit, besetzen die meisten Führungspositionen und tragen überall die vermeintliche Fahne der Allgemeinheit vorneweg. Medien bezeichnen sie als Macher und bejubeln ihr pragmatisches Handeln. – Und tatsächlich, sie entsprechen häufig dem Menschentyp des Pragmatikers.
Aber sind sie wirklich ein Segen für uns? Zeugt schnelles Denken wirklich von besonderer Kompetenz oder zeugt es vielmehr von besonderer Oberflächlichkeit?
Zum Link auf dem Bild: Unter dem Titel »Trügerisches Bauchgefühl« schreibt die Frankfurter Rundschau über das Buch »Schnelles Denken, langsames Denken«. Daniel Kahneman geißelt darin auf 621 Seiten auch Fehler durch Hörigkeit auf jenes Bauchgefühl, das Schnelldenkern ihr Leben erleichtert – oder auch verdirbt. Leider fand ich das so wichtige Wort »Zweifel« weder im Artikel, noch im Sachverzeichnis des Buches (siehe Irrtum Entscheidungen).
Tatsache ist, dass die meisten weittragenden Entscheidungen von Managern, Richtern, Beamten und Politikern auf Pragmatiker zurückzuführen sind. Pragmatiker haben sie oft übereilt getroffen und anschließend »durchgeboxt«. Viele dieser Entscheidungen stellten sich später als falsch heraus und noch mehr Auswirkungen von Fehlentscheidungen wurden mit Sicherheit unter den Teppich gekehrt.
Mit der Einführung der Antibabypille sank die Geburtenrate ab 1963 fast stetig. Ab 1970 hätte jeder Bundesbürger allein mit dem Taschenrechner die drohende Überalterung sowie die Rentenprobleme vorhersagen können. Doch: „Die Rente ist sicher“, so predigte es gebetsmühlenhaft bis 1998 Norbert Blüm von jedem Rednerpult (Norbert Blüm, CDU-Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von 1982 bis 1998).
Erst die Rentenreform 2001, moderiert vom SPD-Bundesminister Walter Riester, offenbarte das seit 30 Jahren schwelende Dilemma. Die Reform gleicht einer Aufkündigung des Generationenvertrages zur Alterssicherung. Seitdem sinkt notgedrungen die Kaufkraft der gesetzlichen Renten ständig.
Ganz sicher haben viele Parteimitglieder oder Regierungsbeamte diesen Supergau kommen sehen und gewarnt. Doch sie wurden von pragmatischen Führernaturen zurückgepfiffen und zum Schweigen verurteilt, sodass 80 Millionen Bundesbürger arglos ins Verderben schlitterten.
Nun – ich will nicht in Gesellschaftskritik versinken, sondern Ihnen als Leser des Buches nahelegen, Schnelldenker mit Führungsanspruch stets argwöhnisch zu beobachten und deren Aussagen und Anweisungen immer auf Plausibilität zu kontrollieren.
Der nachfolgende Textauszug aus dem Buch verdeutlicht, warum sich Pragmatiker aus ihrer äußeren Attraktivität heraus so und nicht anders entwickeln müssen.
Ergänzender Original-Textauszug aus dem Buch.
Kapitel: 5 Erfolgsschranken öffnen
Titel: 5.2 Menschentypen erkennen
Thema: Entwicklung der Menschentypen
…… Die Entwicklung zum Pragmatiker aus der Lärmgruppe heraus steht zunächst vorwiegend unter dem Vorzeichen der körperlichen Überlegenheit. Doch die daraus entspringende Anerkennung durch Unterdrückung schwächerer Kinder ist nur mäßig, wird sie doch auch schnell eingeengt durch Zurechtweisungen oder sogar Strafen für schlechtes Benehmen. Bleibt oft nur die Lärmgruppe selbst als Hort einer sich gegenseitig befeuernden Anerkennung.
Ein konstruktiver Entwicklungsweg (bauen, basteln, malen, musizieren) zieht schnell das Gespött der Gruppe an, steigert also auch nur selten die erhoffte Anerkennung. Als Ersatz greift der angehende Pragmatiker häufig zur Unterstreichung seiner Dominanz, indem er schwächeren mit Demütigungen oder gar Schmerzen droht und diesen Drohungen mitunter auch Taten folgen lässt. Hänseln und mobben gehören zu seinem täglichen Brot. Dieses dauernde Training am Menschen führt letztlich zu einer kaum beugbaren inneren Sicherheit und zu einem unbedingten Machtanspruch gegenüber vermeintlich schwächeren Zeitgenossen.
Da er selbst nur selten Schmach erfahren hat, ist sein Gefühl für die Leiden anderer nur mangelhaft ausgeprägt. – All dies führt zu dem typisch pragmatischen Verhalten: Vorwiegend im Befehlston sprechen, kurze Anweisungen geben, unterschwellig drohen, sich nie auf Diskussionen einlassen, schnell entscheiden und scheinbar immer sofort wissen, was zu tun ist, um alle anderen zum Mitmachen zu überrumpeln.
Obwohl große, starke Menschen in der allgemeinen Anerkennungsskala recht weit oben stehen, fürchtet auch der Pragmatiker um seine Reputation. Deshalb trägt er dieses typisch pragmatische Verhalten in jede soziale Beziehung hinein, um sich unmissverständlich als Tatmensch zu etablieren. Und tatsächlich findet man in den Führungsetagen und bei den Unternehmern am häufigsten jene Pragmatiker. – Der Grund dafür ist sein Führungsanspruch in allen Situationen, der eine Sozialkompetenz jedoch häufig nur vortäuscht.
Das typisch pragmatische Verhalten hat in Deutschland, und wahrscheinlich auch auf der ganzen Welt, in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Konjunkturauftrieb erfahren. Wir können es in Politik und am Arbeitsplatz überall hören, verdeutlicht durch Sprüche wie: „Es gibt viel zu tun, packen wir es an!“ – „Wir werden nicht zulassen, dass die Konjunktur abbricht!“ – „Die Rente ist sicher!“. (Norbert Blüm in den neunziger Jahren) – „Das kann ich nicht verantworten!“ – „Die Arbeitsplätze in diesem Betrieb sind unantastbar!“ – und so weiter. Obwohl kaum ein Sprecher solche Kraftsprüche jemals eingelöst hat, werden sie immer wieder als Zeichen großer Betriebsamkeit und fühlbarem Durchsetzungsvermögen beklatscht. – Warum nur?
Pragmatiker neigen dazu, erst zu entscheiden, die Fanfare zu blasen und dann ggf. nachdenken zu lassen. – Doch allzu oft stellt sich heraus, dass die vermeintlichen Pragmatiker keine sind, sondern nur Unarten jener scheinbar Erfolgreichen kopieren (E70 Nachgemacht S.196).
E98 Der Pragmatiker stichwortartig: Er ist dominant, durchsetzungsfähig, manipulierend, zuverlässig, wenn es sein muss, seltener gesellig, weniger mitfühlend. Er strahlt Stärke aus, entscheidet schnell, erwartet unbedingten Gehorsam, weiß immer, was zu tun ist, besetzt die meisten Führungspositionen. ……
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