Ausverkauf der Kompetenzen

… hat Hochkonjunktur. Ein Schlachtfest mit prominenten Treibern und Nutznießern.

Kompetenz ist im weitesten Sinn die Fähigkeit, Aufgaben richtig zu erfüllen. Jeder Fachbereich und jeder Aufgabenkontext erfordert andere Kompetenzen.

Doch eine zentrale Kompetenz überzieht alle Bereiche. Es ist die Fähigkeit, Kompetenzen selbstständig aufzubauen. Bekannt auch als Interventions-Kompetenz oder wissenschaftlich als  Metakompetenz. Besonders Führungskräfte sollten sich damit schmücken, doch bisher konnte ich davon wenig feststellen.

Deshalb hat sich diese Schrift besonders dieser raren Kompetenz verschrieben. Jeder Titel wird Sie ein Stück auf diesem Weg voranbringen. Wie Interventions-Kompetenz funktioniert, finden Sie im Titel »Denken in Erkenntnissen«.

Viele Kompetenzen verhungern heute oder werden nur vorgetäuscht. Doch damit ist die Kompetenz-Stange noch nicht am Ende. Schließlich wollen auch jene Kompetenzgräber ein Denkmal in diesem Titel bekommen, die bisher unter den Tisch gefallen sind.

Doch jene Kompetenzen, die unsere Zukunft am weitesten beeinflussen, sind auch hier nicht dabei. Sie finden sie erst unter »Bildungsruinen entrümpeln«. Schulen und Universitäten produzieren nämlich in den letzten Jahren immer üppiger kaum brauchbares Abfragewissen, das nach Prüfungen aufatmend vergessen wird.

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Offene Fragen

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Wer fragt der führt, wer fragt gewinnt. Dumme Fragen gibt es nicht, nur dumme Antworten. ‒ Alte wahre Volksweisheiten. Sie zu leben ist in der immer komplexeren Welt wichtiger denn je. Dennoch hat die Fragekultur in den letzten Jahrzehnten bedenklich gelitten.

Dies gilt vornehmlich für offene Fragen. Fragen, nach denen es sich trefflich erzählen, erklären oder auch schwafeln lässt. Also Eigenschaften, die kaum ernste Lebenseinflüsse vermuten lassen. ‒ Doch stehen offene Fragen immer am Anfang aller neuen Erkenntnisse und verkörpern damit die Zukunftsessenzen jedes einzelnen sowie unserer Gesellschaft. Es sind die Zündfunken für alle Kompetenzen.

Leider verschwinden diese Fragen heute mehr und mehr. Menschen scheinen bereits alles zu wissen. Oder fürchten sie, ihren Kompetenzstatus zu verlieren? Denn wirklich kompetente Mitmenschen kennen diese Angst nicht. Sie stellen ihre »Wissenslücken« frei ins Rampenlicht. Wohlwissend, dass nur dieses Verhalten ihre Fähigkeiten erhalten und erweitern kann.

Immer öfter enttäuschen jedoch auch die Antworten. Denn an die Stelle der erwarteten freien Antworten treten jene auswendig gelernten »Statements«, die mit auftrumpfend trügerischer Vollständigkeit alle Widersprüche töten sollen. Aber meist halten sie kaum einer Verständnisfrage stand, denn sie entstanden ähnlich einer nur auswendig gelernten mathematischen Formel. Meist ohne Denkhintergründe.

Verbreiter dieser Scheinantworten gibt es wie »Sand am Meer«. Dazu gehören besonders Vorgesetzte, sogenannte Experten und die meisten Politiker. Allerdings vergreifen sich Politiker gern und ziehen die falsche »Schublade«. Da sie aber oft auch bewusst am Thema vorbeireden, fallen solche Fehlgriffe nur selten auf.

So meine persönlichen Erfahrungen. Sie gehören ganz sicher auch zu den Ihren, sofern Sie etwas älter sind und mit vielen verschiedenen Menschen häufiger auch mal privat sprechen.

Deutschsprachige Statistiken über Frageintensitäten und -Qualitäten sind kaum auffindbar. Eigentlich verwunderlich, denn Pädagogik-Lehrbücher und -Aufsätze darüber, wie Kinderfragen zu beantworten sind, gibt es zahlreich.

Was aber, wenn schon Kinder kaum noch fragen, so wie Erwachsene? Weniger Fragen konnte ich schon bei unseren Söhnen orten. Unsere Enkelkinder fragen so gut wie gar nicht mehr.

Das Buch »Von der Kinderfrage zur Forscherfrage« von Ludwig Hoffmann fasst dazu einige der seltenen Ergebnisse zusammen. Dabei kommt Ludwig Hoffmann zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Die Fragehäufigkeiten aus Schätzungen der Lehrer liegen viel zu hoch.

So schätzten Lehrer in einer Studie von »Susskind 1979« durchschnittlich 10 Fragen pro Klasse und Unterrichtsstunde. In verdeckt beobachteten Stunden waren es nur 1,8 Fragen. ‒ Dieser Befund stimmt tendenziell mit meinen Erfahrungen überein. Weitere Recherchen lohnen sich erst, wenn es repräsentative Jahresstatistiken mit weiteren Parametern (Beiwerten) gibt. Bis dahin müssen wir uns mit persönlichen Eindrücken zufrieden geben.  

Gründe für fehlende Fragen sind nach Ludwig Hoffmann zitiert: niedrige Selbstwirksamkeitserwartung, negative Einschätzung der eigenen Intelligenz, als gering empfundene soziale Kompetenz und fehlende Lernmotivation. Schüler haben Angst, von anderen ausgelacht oder herabgesetzt zu werden; sie glauben, dass ihre Frage ein Defizit im Verständnis des Lernstoffs offenbart oder sie erwarten sich von der Lehrkraft keine ihren Erwartungen angemessene Antwort. ‒ Offenbar ähnliche Ängste wie bei Erwachsenen.

Doch derartige Ängste gab es auch schon vor 100 Jahren. Wer aber eine Lebensperspektive (Wunsch, Traum) verfolgt, setzt sich einfach darüber hinweg und findet seine soziale Sicherheit. Wer stumm bleibt hat keine motivierenden Lebensperspektiven ‒ erschütternd, doch nackte Realität.

Die Fragearmut ist also kein isoliertes Phänomen. Vielmehr folgt sie der Perspektivlosigkeit und macht aus Kindern lustlose verdrossene und teilnahmslose Sozialflüchtlinge, die sich nur noch ablenken wollen. So verbringen sie zahlreiche Stunden am Tag mit fernsehen, chatten im Internet, bedienen Killerspiele, besuchen aufregende Events, konsumieren Drogen oder verschlingen übermäßig süße und fetthaltige Nahrung.

Ich fürchte, dass hier bereits im Kindesalter Millionen »Wurzeln« für persönliche Inkompetenzen eingepflanzt werden. Denn ohne offene Fragen entfällt erkenntnisreiches lebenslanges Lernen nach dem Motto: »learning by »doing«. Wobei mit »doing« auch Handlungen an einem virtuellen Modell im eigenen Gehirn gemeint sind ‒ also denken.

Denn denken beginnt ebenfalls mit einer Frage. Einer inneren Frage, die sich treffender mit dem Verb »zweifeln« umschreiben lässt. Wir zweifeln, wenn uns eine im Gehirn geplante Entscheidung suspekt oder einfach falsch erscheint. Wer solche Zweifel nicht als offene Fragen annimmt und ihr gewissenhaft nachgeht, dessen Gehirn verkümmert und eignet sich bald nur noch zum Stammtisch- oder Nachbarschafts-Tratsch.

Vielleicht denken Sie jetzt: „Es fehlt bestimmt nur an Neugier!“ Sicher richtig, aber woher bitte kommt die Neugier. Ist sie tatsächlich angeboren, wie Wissenschaftler behaupten? Bisher gibt es dafür keinen Beweis und keine hinweisenden Erkenntnisse, offenbar nur eine falsche Vermutung.

Diese falsche Interpretation von Neugier durchsetzt fast uns alle. Sie führt dazu, gleichgültig zu bleiben, wenn Kinder ihre Neugier in der Schule verlieren, wenn sie nicht mehr fragen, »Warum«. Ein beinahe sicheres Indiz für sinkende Zukunftshoffnungen. Deshalb muss ich diesen Bedeutungsfehler in ähnlichen Situationen noch öfter herausstellen.

Denn Neugier entsteht aus Motivation, wenn hinter Unbekanntem Belohnungen vermutet werden. Etwas essbares, ein Lob oder gar eine Erkenntnis, die zu neuen Denkhorizonten mit weiteren Aussichten auf Belohnungen führt. Die Tragweite solcher Motivationen überbrückt sogar Jahre. Besonders wenn Lebensperspektiven winken, wie ein erfüllender Beruf mit ausreichend Karrierechancen. Dafür opfern wir gern viel gegenwärtige Lebensqualität; büffeln Vokabeln oder plagen uns nächtelang mit ellenlangen Differenzialgleichungen. Und gleichzeitig fühlen wir uns dabei richtig glücklich.

Doch fehlende Zukunfts-Perspektiven lassen das ganze Motivationsgebäude in sich zusammenfallen. Vielfach beginnt es bereits im Schulalter, wenn die Erwartungen der Eltern nicht erfüllt werden können. Und je länger diese Perspektivlosigkeit dauert, desto weiter klaffen die durch Fragearmut und deren Begleiterscheinungen entstehenden Kompetenzlücken zum gewünschten Standard. Tragfähige Brücken über so entstandene Abgründe lassen sich dann nur schwer schlagen.

 

So gesehen, brauchen unsere Kinder dringend Hilfe, um wieder Zukunfts-Perspektiven spüren zu können, denn Fragenabstinenz mündet letztlich in eine Bildungskatastrophe. Siehe dazu »Bildungsruinen entrümpeln«.

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Rhetorische Fragen

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Geschlossene Fragen etwa: „wie spät ist es?“, “wie hat denn Eintracht gespielt?“ oder „willst Du schon gehen?“, lassen sich meist mit einem Wort beantworten. Sie gehören zum Alltag und sind für unseren Themenkreis nicht relevant.

Doch rhetorische Fragen wucherten in den letzten Jahren erschreckend. Kein Wunder, denn wir hören sie täglich von Politikern, Experten, Managern und ähnlichen Zeitgenossen. So können wir genussvoll ihre zerstörerischen Wirkungen beobachten, was sicher viele Zeitgenossen mit Genugtuung oder gar Schadenfreude erfüllt. Grund genug, dem nachzueifern.

Beispiele für rhetorische Fragen: „Weshalb fragen Sie?“, „Habe ich das nicht schon immer gesagt?“, „Wie lange wollen Sie unsere Geduld noch strapazieren?“, „Können Sie nicht aufpassen?“, „Wieviel Menschen müssen denn noch sterben?“.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass es eigentlich gar keine Fragen sind. Denn sie enthalten bereits die Antwort in einer Art, die keinen Widerspruch duldet. Ihre Absichten sind: Angreifen, einschüchtern, bloßstellen oder vorgesagte Inhalte zerstören. Ein Zeichen von Inkompetenz im Endstadium, wie sie täglich in der Politik und besonders in Talkshows feilgeboten wird.

So verhindern rhetorische Fragen offene ergebnisorientierte Dialoge. Dafür häufen sich Scheingefechte mit anschließend lädierten Egos, aber immer ohne brauchbare Ergebnisse. Viele Menschen fürchten, solchen Spielchen zu erliegen und ziehen sich aus offenen Dialogen zurück, was ihre Kompetenzen weiter schwächt.

 

Dabei ist die Abwehr einer solchen Frage recht einfach. Fragen Sie einfach zurück: „Wie haben Sie das gemeint?“ – Da derartig einfältige Fragen meist aus hohlen Köpfen stammen, werden Sie nur selten Antworten bekommen. Die Lacher haben Sie auf Ihrer Seite.

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Soziale Kompetenzen

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Kompetenzen treten in zwei Fraktionen auf. Als harte- und als weiche. Zu den harten gehören Fachqualitäten, Denkvermögen, handwerkliche- und sportliche Fähigkeiten, usw. Soziale Kompetenzen bezeichnen wir als weiche Qualitäten. Darunter Ehrlichkeit, Toleranz, Teamfähigkeit, Belastbarkeit, Kritikfähigkeit, Lernbereitschaft, Durchsetzungsvermögen usw. 

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war fehlende soziale Kompetenz ein psychologisches Kriterium für eine geistigen Behinderung. Wer sich also nicht den gesellschaftlichen Gepflogenheiten unterwerfen wollte oder konnte, galt als behindert und verfügte über keine sozialen Kompetenzen..

Auch heute gilt gelungene Gruppenanpassung als Zeichen für soziale Kompetenz oder Teamfähigkeit. Gern erweitert durch die Fähigkeit, Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern »positiv« zu beeinflussen. Positiv heißt, abweichendes Verhalten anderer im Sinne der Gruppe zu korrigieren.

Zahlreiche Unternehmen und sonstige Institutionen achten bei Einstellungen auf ausreichende Teamfähigkeiten. Sie erhoffen sich bessere Ergebnisse aus Arbeitsgruppen. Unternehmensberater bieten dazu Seminare und Unterweisungen an. Dabei legen sie besonderen Wert auf Eigenschaften wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen, Toleranz, Kritikfähigkeit Lernbereitschaft und Durchsetzungsvermögen. ‒ Eine Wunschliste, die angesichts der vielen Einflussgrößen und besonderen Fachanforderungen niemals auch nur annähernd erfüllt werden kann.

Soziale Kompetenzen lassen sich nicht mit Prüfungsfragen messen. Doch wer sich die gewünschten Eigenschaften für Teammitglieder genauer anschaut, kommt schnell zur Erkenntnis, dass all diese Wesensarten zu einem allgemeinen sozialen Anstand gehören, den wir meist schon aus dem Elternhaus mitbringen. Ausgenommen die Durchsetzungsfähigkeit.

Denn Durchsetzungsfähigkeit scheint von attraktiven Zeitgenossen, von Wichtigtuern, gepachtet zu sein. So offenbar die stille Meinung der meisten Führungskräfte. Doch den Teamgeist kann man mit solchen Mitgliedern getrost vergessen. Schließlich sind es meist energische, streitlustige Gesellen mit ausgeprägten Fähigkeiten zu überreden und zu manipulieren. Sie glauben meist nur an ihre eigenen Ideen und lassen sich auch von Experten nur ungern davon abbringen. Wir könnten sie auch als aggressive Narzissten bezeichnen.

Damit verkommt Teamkompetenz zur Schwarmkompetenz. So wie Fische hinter einem Leitfisch herschwimmen, um sich vor Feinden sicher zu fühlen. Nicht wissend, dass gerade einfältige Schwärme auf Raubfische besonders anziehend wirken, weil viel Beute lockt.

Wie Sie sicher erkannten, habe ich hier die offizielle Bedeutung der Schwarmkompetenz gefälscht. Denn sie soll eigentlich der Optimierung von Schätzwerten dienen. Das aber funktioniert nur dann, wenn sämtliche Teilnehmer gleichrangig sind und untereinander keinen Kontakt haben, was schon in einem Fischschwarm nicht klappt, denn alle Fische einer Gattung hudeln hinter dem vordersten her. Ein Schwarm ist fast immer dümmer als einzelne Individuen.

Aber vergessen wir nicht, dass die meisten Projekte mit straffer Führung äußerlich erfolgreich sind. Termingetreu, Kosten im Budget sowie zur Zufriedenheit von Geschäftsleitung und Kunden. Doch wurden sie nicht von Teams, sondern in Einzelarbeit mit gelegentlichen Schwarm-Besprechungen geschaffen. Wieviel unnötige Kosten und unterdrückte Innovationen dabei jedoch verloren gingen, steht in keinem Abschlussbericht. Nach meinen Erfahrungen mit Investitionsprojekten sind es mindestens 20 Prozent.

Ein weniger bestimmender aber kompetenter toleranter Teamleiter (sogenannter Friedliche) könnte kostensparendere und innovativere Ergebnisse erzielen. Aber nur, wenn eine Arbeitsgruppe nicht mehr als acht Teilnehmer aufweist und er mit Interventions-Kompetenz alle am Tisch vertretenen Fachgebiete zumindest plausibilisieren kann, was mitunter in Bauprojektgruppen zu beobachten ist. Doch meist hört auch hier die Interventions-Kompetenz bei Klimatechnik, Elektrotechnik, MSR (Mess-, steuer- und Regeltechnik) und sonstigen Spezialdisziplinen auf.

So gesehen, verkörpert die soziale Kompetenz kaum mehr als eine der vielen gesellschaftlichen Luftblasen, die sich findige Experten ausgedacht haben, um neue Betätigungs- und Einkommensfelder zu schaffen.

 

Zusätzlich dient soziale Kompetenz als Feigenblatt für kompetenzfrei aufgestiegene Wichtigtuer. Siehe dazu diesen Link. 

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Tarnkompetenzen

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Mit Winston Churchill assoziieren viele von uns sein bekanntestes Zitat: 

»Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen all jene, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden

Doch was bitte meinte Churchill mit schlecht? Meinte er das schwere Regieren an sich, oder war es ein Stoßseufzer darüber, wie wenig Vernunft sich in einer Demokratie umsetzen lässt. Ich tendiere zu letzterem. Und damit ist das Zitat keine Ode an die Demokratie, sondern eine Klage über kollektive Inkompetenzen.

Denn Politiker wollen selten das Beste für alle. Vielmehr will jeder nur Recht behalten, um sich für die nächsten Wahlen zu profilieren. Auch hörte ich bisher keinen Politiker, der nach einem treffenden gegnerischen Argument seinen Irrtum zugab, obwohl wir alle wissen, dass irren menschlich ist. Oder sind Politiker keine Menschen? Und wenn ja, wer macht sie zu »Monstern« und verhindert, dass sie etwas dazulernen?

Die Antwort ahnen Sie bestimmt: Wir alle sind es, die sich enttäuscht abwenden, wenn einer unserer »Polit-Helden« dazugelernt hat. Aufgeputscht von Medien, die solche vermeintlichen Fehltritte ausschlachten und mitunter sogar Rücktritte wegen Unfähigkeit fordern.

Deshalb beharrt jeder auch auf der dümmsten öffentlich geäußerten Meinung. Täuscht, verschleiert, lenkt ab und sucht nach Schwachstellen, um Gegner bloßzustellen. Diese Tarn- und Darstellungs-Kompetenzen sind heute offenbar viel einträglicher, als Sachkompetenzen. Wenn es nicht so wäre, könnten Politikerinnen wie Ursula von der Leyen kaum kurz nacheinander verschiedene Fach-Ministerien leiten. Und dies anfangs sogar halbwegs erfolgreich. Frau Dr. von der Leyen war Ministerin für Soziales in Niedersachsen sowie in der Bundesregierung Ministerin für Familie, für Arbeit und heute noch für Verteidigung. Sachkompetenzen lassen sich so nur noch simulieren.

Aber kommen Politiker wirklich ohne Sachkompetenzen aus? Sind sie wirklich in der Lage, Gutachten, Expertisen und Gesetzesvorlagen in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen zu beurteilen? ‒ Ganz sicher nicht, sonst wären die meisten schmorenden Krisen bereits vergessen. Denn auch jene etwa 320.000 Mitarbeiter der Bundesbehörden sind nur äußerlich der Wahrheit verpflichtet, innerlich lauern sie auf Beförderungen oder verteidigen ihre Posten. Somit werden auch sie ähnlich handeln und ihre eigenen Agenden mit Tarn- und Darstellungs-Kompetenzen vorantreiben. Ein Szenario, dass bis in die untersten Führungsränge von Verwaltungen, Unternehmen und sonstigen Institutionen imitiert wird.

 

Wie Sie erkannt haben, sind Tarnkompetenzen keine echten Kompetenzen. Denn sie erzeugen Misstrauen, Verwirrtheit, lenken vom Thema ab. Ihre Quellen sprudeln dort besonders, wo Führungskräfte öffentlich agieren. Sie addiert sich zu dem bereits erkannten Kompetenz-Ausverkauf, deren Gewichte ebenfalls mit mehr Führungsverantwortung steigen. 

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Fachkompetenzen bewerten

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Bleiben nur allgemeine Einsichten, denn häufig sind wir bei Kontakten mit Vertretern solcher Fachbereiche blutige Laien und können ihre Kompetenztiefe nicht ermessen. Doch anhand von Verhaltensindizien lassen sich Inkompetenzen ausreichend erkennen.

Praktisch jeder Fachbereich bildet eigene Begriffe aus, die sich heute durch Bezeichnungen von Bauteilen und Methoden mit gestylten Namenskonstruktionen oder Abkürzungen laufend vermehren. Fachvertreter schmücken ihre Sprache gern mit solchen Begriffen.

Beispiele für Fachwörter und Abkürzungen: Blindstrom = Strom, der im Haushalt keine Kosten verursacht, MSR = Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik, MRT = Magnetresonanztomographie = bildgebendes Verfahren zur Diagnostik, Aküfi = Abkürzungsfimmel, usw.

Wer gegenüber Kunden, Klienten oder Patienten seine Fachsprache kommentarlos benutzt, zeigt keineswegs überragende Kompetenzen, sondern vielmehr überragende Inkompetenzen. Zunächst nur sozial, doch meist gepaart mit fachlicher Inkompetenz, denn sie lässt sich hinter Fachbegriffen gut verbergen.

Das Phänomen, mit Gehabe, Fremdwörtern und Abkürzungen seine Kompetenz vorzutäuschen, ist weit verbreitet. Laufend gefördert von Herstellerfirmen, die ihre Erzeugnisse kaum noch nach Eigenschaften benennen, sondern mit wohlklingenden Schmusenamen schmücken. Weiter gefördert durch die explodierende Zahl neuer und novellierter Gesetze, Normen sowie Vorschriften. Ausgestatte mit Texten, die heute kaum noch erklären, wie das Gesetz funktioniert, dafür aber ellenlange, oft wahllos aneinandergereihte, Anweisungen enthalten. Anweisungen, in denen sich allzu oft Einflüsse von kostentreibenden Lobbyisten erkennen lassen. 

 

Dieses Verschleierungstreiben führt zur immer zu Kostensteigerungen. Daneben aus zu Orientierungslosigkeit bei Kunden, Patienten als auch bei den Experten selbst. Denn klärende offene Fragen sind beinahe ausgestorben, wie wir bereits erfuhren.

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Intelligenz

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Kompetenz und Intelligenz scheinen verwandt zu sein. Der Duden schreibt zur Kompetenz »Sachverstand, Fähigkeiten« und zur Intelligenz »Fähigkeit, abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten«. Auf den ersten Blick scheint beides gleich, also kein zusätzlicher Lesebedarf?

Ohne Wortklauberei zu provozieren, stelle ich meine Definition dagegen. »Intelligenz ist die Fähigkeit, selbstständig Kompetenzen zu entwickeln«. Damit ist Intelligenz eindeutig die Ursache für Kompetenzen. Im Umgang mit Menschen zeigt sich allerdings nur ihre Kompetenz. Ob dahinter Intelligenz steht, ist schwieriger zu ermitteln. 

Unterrichtsziele in Schulen werden heute verstärkt in Kompetenzen beschrieben. Die früher oft zitierte Intelligenz tritt in den Hintergrund. Wenn wir Intelligenz aber als Kompetenz verstehen, selbstständig Kompetenzen zu entwickeln, sollten wir schon einiges daraus erkennen können.

Viele Wissenschaftler glauben, dass Intelligenz messbar ist. Messbar mit Intelligenztests, welche Fähigkeiten wie Gedächtnis, logisches Denken, Zahlenverständnis, grafisch-logisches Vergleichen, usw. mittels Fragebögen messen. Ergebnisse werden als Intelligenzquotient ausgewiesen und meist in Prozenten angegeben. Dabei steht 100 Prozent für den Mittelwert, 50 für schwache und 150 für äußerst hohe Intelligenz. Leider messen solche Tests gar keine Intelligenz, sondern Wissen und Kompetenzen. Prüfen Sie es selbst unter http://iqtest.sueddeutsche.de.

Der Rückschluss von den Kompetenzen auf die Fähigkeit, diese Kompetenzen zu erwerben, ist bedenklich. Einerseits wird mit dem Erwerb von Wissen die Intelligenz trainiert, andererseits kennen wir viele unkontrollierbare Einflüsse auf Kinder und heranwachsende Jugendliche. Einflüsse aus Vorbildern, Freunden, dem Elternhaus und viele mehr.

Deshalb lässt ein Intelligenzquotient nur einen ganz groben Rückschluss auf die tatsächliche Intelligenz zu. Denn Kompetenz verhält sich zur Intelligenz etwa wie der zurückgelegte Weg zur Geschwindigkeit. Mathematiker würden sagen: Kompetenz ist ein Näherungs-Integral der Intelligenz.

Obendrein verunsichern einige Ergebnisse dieser Intelligenztests. So soll bis zu 80 Prozent der Intelligenz vererbt sein. Das wurde heiß diskutiert mit dem von Thilo Sarrazin 2010 geschriebenen Buch »Deutschland schafft sich ab«. Dazu belegt Sarrazin diese Prozentzahl mit Testreihen an eineiigen Zwillingen, die gleich nach der Geburt von ihren Eltern getrennt wurden und unabhängig voneinander aufwuchsen.

Somit, so die Wissenschaftler, sind alle sozialen Gemeinsamkeiten zwischen den Zwillingen ausgeschlossen. Wenn die gemessenen Intelligenzen dennoch dichter beieinander liegen, als bei beliebigen miteinander verglichenen Menschen, dann muss die Intelligenz vererbt worden sein. Und genau dies besagen die 80 Prozent, denn bei beliebigen Menschen ist dieser Prozentsatz gleich Null, also keine Vergleichbarkeit. Wissenschaftler sprechen dabei vom Korrelations-Koeffizienten.

Das war sicher ein Schlag ins Gesicht für alle wenig ausgebildeten Eltern mit Zukunftshoffnungen für ihre Kinder. Schließlich wollen Eltern, dass es ihren Kindern mal besser geht. Dieses Besser, so der herrschende Kontext in sozial schlechter gestellten Kreisen, heißt natürlich: Bessere Ausbildung für die Kinder, damit sie später auch möglichst viel mehr Geld verdienen. Die eigene Intelligenz schätzen viele dieser Menschen gering ein. Wenn sie nun hören, dass ihre Kinder ihre Intelligenz praktisch geerbt haben, dann schwinden viele Hoffnungen.

Doch die Hoffnungen brauchen nicht zu schwinden, denn die Interpretation dieser Testreihen ist falsch, denn sie unterschlägt die gleichen Attraktivitäten von Zwillingen.

Schließlich erkannten wir in Charakteraufbau, dass Attraktivität vornehmlich den Charakter prägt, der wiederum die Lernbereitschaft von Heranwachsenden bestimmt. Da aber die äußere Attraktivität bei eineiigen Zwillingen gleich ist, muss auch der Intelligenzquotient ähnlich sein. Intelligenz selbst kann sich nicht vererben.

Außerdem haben die Vererbungstheoretiker nicht Intelligenzen, sondern Kompetenzen gemessen. Damit vagabundieren ihre Aussagen noch weiter von der Wahrheit entfernt.

Dies stützt u.a. das sogenannte Milwaukee-Projekt an der University of Wisconsin USA schon in den 1960er Jahren. Aus einem Slumviertel mit 3 Prozent der Einwohnerzahl kamen 33 Prozent aller geistig zurückgebliebenen Kinder der Stadt. 40 Kinder von Müttern mit einem Intelligenzquotienten von weniger als 80 Prozent nahmen am Projekt teil. 20 davon wurden individuell gefördert, die anderen 20 dienten als ungeförderte Kontrollgruppe.

Die Förderung begann im Babyalter durch einen promovierten Betreuer je Kind. Aufgabe war es, mit dem Kind zu reden, ihm vorzulesen, Lernspiele zu spielen usw. Mit 6 Jahren zeigte der Intelligenzquotient für die betreuten Kinder 120 Prozent und für die Kontrollgruppe 87 Prozent. Danach endete die Förderung. Alle Kinder mussten zurück in die verwahrloste Umgebung mit Arbeitslosigkeit, Alkoholkonsum und Drogensucht. Ein Abschlusstest mit 14 Jahren ergab für die geförderte Gruppe immer noch 101 Prozent und für die Kontrollgruppe 91 Prozent. 100 wäre normal.

Das Experiment untermauert, dass Intelligenz ausschließlich erworben wird. Denn mit einem IQ von 120 Prozent nach der Förderung im 6. Lebensjahr lässt sich eine Vererbung schon ausschließen. Selbst im 14. Lebensjahr war der Fördereinfluss mit 101 Prozent noch nachzuweisen. Da jedoch der IQ keine Auskunft über Intelligenzen gibt, sondern nur Kompetenzen ausweist, war dieses Experiment zwar nützlich, hätte jedoch auch bei anderen Ergebnissen keinen wirklichen Bezug zur Erblichkeit der Intelligenz gehabt.

Alle Aufregungen über die Erblichkeit der Intelligenz war also überflüssig. Schließlich ist die Zahl der Gene für unser Gehirn unverhältnismäßig klein, sodass Verhaltensanweisungen darüber nicht transportiert werden können. Dazu schrieb Gerald Hüther, ein Neuropsychologe aus Göttingen, auf der Webseite von Werner Stangl’s Arbeitsblättern unter Gehirnfunktion:

Das menschliche Genom ist seit kurzem entschlüsselt: 30.000 Gene, nicht viel mehr als ein Wurm, braucht die befruchtete Eizelle, damit aus ihr ein Mensch wird. Doch ausgerechnet bei der Entstehung unseres wichtigsten Organs, des Gehirns, spielen die Gene nur eine untergeordnete Rolle. Wenn es um das Gehirn geht, sind Gene nur das Basismaterial, statten das Gehirn mit einer Lizenz zum Lernen aus, doch wie weit dieses Angebot tatsächlich ausgeschöpft wird, hängt davon ab, wie intensiv die Gehirnzellen gefordert und gefördert werden.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Denn erst 2010 schrieb Prof. Gerald Hüther in seinem Buch »Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn« sinngemäß:

Alles, was im Gehirn steckt, muss über die Sinnesorgane oder durch eigene Erkenntnisse dort hineingelangen.

Deshalb ist es auch sinnvoll, den Kompetenzerfolg in der Schule mit Noten zu messen. Meinungen darüber sind zwar geteilt, doch bilden Schulnoten die wichtigste praxisbezogene Aufklärung über den jeweiligen Kenntnisstand. Bisher alternativlos für Eltern sowie Aufnahmeentscheidungen zu Ausbildungsplätzen oder weiterführenden Bildungsstätten.

Nur wörtliche Beurteilungen halten Leistungsdruck und Konkurrenzdenken von den Schülern fern. So viele Gegner von Schulnoten. Doch spüren Kinder auf der Jagd nach Anerkennung ohnehin Leistungsdruck, fühlen sich oft sogar von den Stärkeren unterdrückt oder gemobbt, ohne dagegen etwas unternehmen zu können. Die Anerkennung über Schulnoten kann ihnen motivierende Auswege zeigen, sie vom Rückzug aus Gemeinschaften mit anschließendem Ablenkungssyndrom bewahren. Wörtliche Beurteilungen sind dazu meist viel zu schwammig und unterliegen der Lehrerwillkür.

 

Allerdings gilt der Vorteil von Noten nur, solange Schulen anstelle von Kompetenzen Abfragewissen produzieren, das nach Prüfungen aufatmend vergessen wird. Im Titel »Bildungsruinen entrümpeln« finden Sie eine Lernweise, die an unsere Erkenntnisse über das Denken anknüpft. Dort sind intelligenztestähnliche Abfragen für Zensuren nicht mehr möglich und auch nicht mehr notwendig, denn alle Schüler lernen fast gleichauf. Der bisher einzige Weg zur milieuübergreifenden Chancengleichheit.

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Intelligenz und Berufserfolg

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Exzellente Schul- und Ausbildungsnoten führen selten zu großem Berufserfolg. Eigentlich widersinnig, denn hervorragende Schulnoten zeugen oft von ebensolchen Kompetenzen und damit indirekt von höherer Intelligenz, also von der Fähigkeit, Kompetenzen selbstständig zu erwerben.

Unter Berufserfolg verstehe ich hier nicht Erfolg zum Beruf, sondern Erfolg im Beruf, also den Aufstieg in der Hierarchie, Anerkennung als Spitzenkraft oder Entwicklung großer Unternehmen. Immer gepaart mit hohem Einkommen.

Die Abhängigkeit zwischen Ausbildungsnoten und Berufserfolg beträgt nur etwa 20 Prozent (Korrelationskoeffizient). Zu dem Ergebnis kamen zahlreiche Forschungsprojekte. Gründe für diesen Widerspruch werden ebenso zahlreich genannt. Hier die häufigsten: So sollen Aufsteiger mit schlechten Bildungsnoten eine dickere Haut haben, Anweisungen geben können, emotionale/soziale Intelligenz besitzen, ihre eigenen Stärken entwickeln können, risikofreudig sein, keine Perfektionisten sein, logisches Denken beherrschen, scheitern können und wieder aufstehen. Ein Sammelsurium von Gründen, das uns eigene Überlegungen nicht ersparen kann.

Besonders erfolgreiche Unternehmer haben meist nur Glück. Glück, dass sie zu Beginn einer neuen Technikära Produkte entwickelten, die hohen Gewinn abwarfen. Ein Unternehmen in diesem Aufwind zu entwickeln, erfordert keine besondere Leistung. Darunter Unternehmer wie Werner von Siemens, Thomas Alva Edison, Bill Gates, Steve Jobs und viele mehr. Sie brauchten keine überragenden Fähigkeiten. Denn Geld für die Vertuschung von Fehlern war nach anfänglichen großen Gewinnen immer vorhanden. 

Aufsteiger in Hierarchien müssen auch nicht mit harter Kompetenz glänzen. Dafür mit Belastbarkeit, Frustrationstoleranz und vor allem Durchsetzungsstärke. Also soziale Kompetenzen, die bei Wichtigtuern zu finden sind. Verantwortliche für Beförderungen teilen meist diese Stärken und werden deshalb kaum Sympathie für jemanden aufbringen, der kompetent, eingefahrene Weichen umstellen oder gar Leichen zutage fördern könnte. So füllen sich Führungsriegen mit führungsstarken inkompetenten Zeitgenossen.

 

Überdies zeigen Schul- und Studienzeugnisse ähnliche Ergebnisse wie Intelligenztests. Beide aber zeigen keine Intelligenzen, sondern Kompetenzen. Über jene dahinter stehende Intelligenz, die für den selbstständigen Aufbau von Kompetenzen notwendig ist, sprechen wir im kommenden Titel »Denken in Erkenntnissen«. 

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Heuristische Kompetenzen

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Heuristik kennen nur wenige. Deshalb beginnen wir mit einer Frage: „Worum gehts eigentlich bei der Heuristik?“

Der Duden sagt zur Heuristik: Lehre, Wissenschaft von den Verfahren, Probleme zu lösen; methodische Anleitung, Anweisung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse ‒ das ist kaum aussagefähig!

In Wikipedia steht: Heuristik bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen ‒ das trifft eher unsere Situation.

Der griechische Mathematiker Pappos beschrieb heuristisches Handeln ganz einfach: Finde eine begehbare Problemlösung, suche den Lösungsweg durch Rückwärtsschreiten und beweise durch Vorwärtsschreiten, dass dieser Weg zur richtigen Lösung führt. ‒ Also Versuch und Irrtum. Eine Arbeitsweise, die auch mathematische Heuristik-Methoden anwendet.

Ich behaupte zusätzlich: All unsere Entscheidungen entstehen heuristisch. Denn wir verfügen nie über vollständige Fakten und nie über vollständige Wahrheiten. Also treffen wir mehr oder weniger zweifelhafte Entscheidungen. ‒ Auch das Ähnlichkeitsprinzip in unseren Gehirnen ist eine Näherung, also ungenau. Dazu gesellen sich mit emotionalen Einflüssen weitere heuristische Elemente.

Heuristik beginnt schon bei optischer Wahrnehmung. Wenn wir uns beispielsweise mit dem Auto einer Wiese nähern, zeigen sich zunächst dunkle bewegte Punkte darauf. Sofort erscheinen Erinnerungen an Ziegen, Schafe, Kühe und Pferde im Bewusstsein. Etwas näher gekommen, zeigen sich anstelle der Punkte winzige schwarzweiße Flecken, die uns jetzt schon mit fast absoluter Sicherheit sagen, es sind Kühe, obwohl weder Köpfe noch Hufe oder Augen sichtbar sind. Denn unsere Gedächtnisse kennen bei schwarzweißen Flecken auf einer Weide nur Kühe. Bei rein braunen Kühen hätten wir aus dieser Entfernung noch nicht entscheiden können. Denn braun sind auch Ziegen, Pferde und mitunter sogar Schafe.

Daraus lässt sich eine Erkenntnis ableiten: Je mehr Fakten eine Problemstellung enthält, desto schneller kommt und desto exakter kann die Lösung sein. Deshalb verstehen wir einzelne Worte nur schwer, wenn Nebengeräusche unsere Ohren belasten; die Bedeutung ganzer Sätze aber sehr viel besser. Denn ein Satz enthält mehr Fakten als ein Wort.

Doch ohne Erinnerungen nützen solche Fakten gar nichts. Wer keine Kühe kennt, wird eine braune Kuh aus der Entfernung vielleicht für eine braune Ziege halten, sich gelangweilt abwenden und mit der falschen Entscheidung weiter fahren. Wer keine Weide kennt, braucht noch länger, um sich zu entscheiden. Denn er muss auch mit Eichhörnchen, braunen Hunden oder Bären rechnen. Wer zwar eine Weide kennt, sie aber nicht den Weidetieren Ziege, Schaf, Kuh oder Pferd zuordnen kann, hat das gleiche Problem. Er muss warten bis er nahe dran ist oder falsch entscheiden.

Die Erkenntnis daraus lautet: Je mehr Erinnerungen zu einer Problemstellung existieren, je folgerichtiger sie untereinander verknüpft sind und je mehr Zeit für eine Lösung geopfert wird, desto treffender ist die daraus entstehende Entscheidung.

Diese beiden Erkenntnisse gelten sowohl für Personen als auch für Teams, Unternehmen, Organisationen, Staaten und Allianzen wie Nato oder Europäische Union.

Weiter müssen wir das Verwirrspiel nicht treiben, denn das Wesen heuristischer Kompetenz ist so begreifbar. „Aber“, werden Sie jetzt vielleicht denken, „worin bitte unterscheidet sich Kompetenz von heuristischer Kompetenz?“

Es ist ganz einfach: Kompetenz ist gleich der heuristischen Kompetenz. ‒ Schließlich arbeiten unsere Gehirne nach dem Ähnlichkeitsprinzip und den Emotionen vollständig heuristisch. Und kompetente Institutionen sind ebenfalls auf heuristisch denkende Mitarbeiter angewiesen. Zumindest aber, solange nicht alles über Computer abläuft.

Aber auch dann müssten diese Computer heuristische Verfahren einsetzen, denn sie werden nicht in der Lage sein, alle Daten und Fakten zu berücksichtigen. Deshalb nutzen Computer heute schon heuristische Algorithmen, wenn exakte Lösungen zu aufwendig sind oder wenn Schätzwerte notwendig werden, wie schon oft in diesem Buch. Immer dann wenn Sie ca., etwa, geschätzt, ähnlich oder wahrscheinlich lasen, erhielten trotz fehlender exakter Daten eine praktikable Aussage, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch richtig war und bleibt. 

Ohne Heuristik wären Wissenschaften, wie Philosophie, Psychologie Neuwissenschaften usw. nicht möglich. Selbst Mathematik und Physik kommen ohne sie nicht aus. Und Politiker könnten keine Entscheidungen mehr treffen. Deshalb wird uns Heuristik noch lange begleiten, pflegen wir sie bewusst! 

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Essenz und Ausblick

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Aus dem Titel - Ausverkauf der Kompetenzen

Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen

Beinahe alle Themen dieses Titels vergiften persönliche und damit auch kollektive Kompetenzen.

Offene Fragen verschwinden zugunsten von rhetorischen Überfällen, Diskussionen ertrinken in vorgefertigten Antworten, soziale Kompetenzen sind weder messbar noch wirksam, Fachchinesisch übertüncht meist nur Inkompetenzen und Intelligenz fördert kaum den Berufserfolg.

Zählen wir dazu die Informationsflut aus den Medien, dann könnte man übertreibungslos sagen: „Wir sind unter die Räuber geraten, unter die Kompetenz-Räuber, einzeln und gesellschaftlich“. ‒ Inszeniert von jenen, denen eigener Kompetenzaufbau ohnehin zu mühselig ist. Die ihre Karrieren ungehindert kompetenzfrei mit Halbwahrheiten, Klüngel und Abschottung untermauern. – Den Wichtigtuern

Gesellschaftlich lässt sich dies vielleicht noch tolerieren, denn geteiltes Leid ist sprichwörtlich nur halbes Leid. Wenn aber die sprichwörtlich doppelte Freude auf neue persönliche und kollektive Perspektiven nur der Kurzweil-Industrie überlassen bleibt, wird es Zeit zu handeln. Denn das Verfallsdatum für wichtigtuerische kompetenzfreie Führung ist schon längst überschritten.

Schließlich lagert die Kompetenz nicht im Wichtigtuerlager, sondern eindeutig bei den Friedlichen. Bei all jenen die sich gutgläubig von Parolen verführen ließen wie »Leistung führt zum Erfolg« und »Wissen ist Macht«. Verführen ließen zu übermenschlichen Anstrengungen und dennoch leer ausgingen

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Kommentare: 1
  • #1

    Hans-J. Schubert (Mittwoch, 03 Juli 2019 15:51)

    Demo-Kommentar
    Beinahe alle Themen dieses Titels vergiften persönliche und damit auch kollektive Kompetenzen: Warum?