Warum ein Neuronen-Oszillator schwingt

Grundschaltungen für Erinnerungs-Oszillatoren

Aus der Serie: Phänomene im Gehirn

Die meist sehr »zusammengefalteten« Kurzerklärungen für das Oszillatorprinzip geben die Funktionen eines Neuronen-Oszillators kaum begreifbar wieder. Deshalb hier eine ausführlichere Erläuterung. Für jemanden, der noch nie gedanklich mit Gehirnbausteinen zu hatte, wirkt der Lesestoff dennoch sehr anspruchsvoll. Die blauen Links können helfen.

Nervennetzwerk

Bild 1 zeigt einen winzigen Ausschnitt des neuronalen Netzwerkes. Es sind nur drei von insgesamt etwa 10 Milliarden Neuronen im Gehirn. Neuere wissenschaftliche Beiträge sprechen sogar von 100 Milliarden Neuronen.

Neuronen sind die »Arbeitstiere«, denn sie spendieren die elektrische Energie im Nervennetzwerk in Form von elektrischen Impulsen (Aktionspotentialen). Jede Sekunde bis zu 10 Milliarden Impulse. – Man sagt: „Neuronen feuern“.

Impulse (Aktionspotentiale) werden durch kleinere Zubringerpulse aus den Synapsen ausgelöst. Je nach Stärke dieser Zubringerimpulse braucht eine Nervenzelle ca. 10 bis 100 solcher Zubringerimpulse, ehe sie feuert − also einen eigenen Impuls auslöst.

Axone sind die bis zu ein Meter langen elektrischen Leitungen für Impulse. Jedes Neuron verfügt über ein Axon, das sich im Nervennetzwerk etwa tausendmal verzweigt (verästelt). Der in den Axonästen immer schwächer werdende Impuls trifft an jedem Ende auf eine Synapse, die ihn modifiziert und dem nächsten Neuron weiterleitet. – Über diese Signalwege »sprechen« Neuronen unentwegt miteinander.

Synapsen sind die eigentlich intelligenten Bausteine im Gehirn. Sie bestimmen mit ihrer elektrochemischen Übertragungsstärke, wie oft welche Neuronen feuern. Dabei entwickeln sie eine eigene vielschichtige Dynamik, die wir hier auf die Begriffe STP und LTP reduzieren wollen.

STP (Short-Term Potentiation) bedeutet: Die Synapse erhöht bei jedem Signaldurchgang kurzzeitig ihre Übertragungsstärke, um das nachgeschaltete Neuron öfter feuern zu lassen. Nach kurzer Zeit (vielleicht einige Sekunden) fällt sie zurück in ihre vorherige Übertragungsstärke. – Sie spüren es, wenn die Ziffernfolge einer Telefonnummer nach wenigen Sekunden nicht mehr aus dem Gedächtnis abrufbar ist.

LTP (Long-Term Potentiation) bedeutet: Die Synapse erhöht bei jedem Signaldurchgang langzeitig ihre Übertragungsstärke, oft sogar lebenslang. – Auch dies spüren Sie, wenn Erlebnisse während der eigenen Hochzeit noch jahrzehntelang präsent bleiben.

Dendriten vollenden den Signalweg eines Impulses mit der Ankunft am nächsten Neuron. Etwa tausend Dendriten enden an einem Neuron und versorgen es mit Zubringerimpulsen. Neuere Berichte sprechen sogar von zehntausend.

Selbstbefeuerung entsteht, wenn der Signalweg eines Impulses direkt oder über mehrere Neuronen hinweg wieder am auslösenden Neuron endet. Es ist die Grundlage für Schwingungen, wie sie mit EEG schon jahrzehntelang im Gehirn gemessen werden. Nur Oszillatormechanismen können solche Schwingungen erzeugen. So auch im Gehirn. Multineuronen-Oszillatoren tragen mit tausenden bis Millionen rhythmisch feuernder Neuronen sogar den Informationsgehalt von Erinnerungen.

Der nachfolgende Textauszug aus dem Buch enthält Die Funktionsweise von Neuronen-Oszillatoren.

Komprimierter Textauszug aus dem Buch »Erfolgssabotage im Gehirn«

Kapitel:            2     Oszillatoren

Titel:                2.2  Der Neuronen-Oszillator

Thema:           Warum ein Neuronen-Oszillator schwingt ff.

Einfacher Neuronen-Oszillator

Bild 2 zeigt das Wirkschema eines einfachen Neuronen-Oszillators. So einfach, dass er in dieser Form niemals im Gehirn existieren könnte, dient er doch hier nur zur Funktionserklärung. – Axonäste bilden mit Dendriten einen geschlossenen elektrischen Kreis über das Neuron und alle 5 gezeichneten Synapsen hinweg. Jedes Neuron feuert mit seiner vollständigen elektrischen Entladung, wenn seine elektrische Ladung den sogenannten Schwellenwert erreicht, was gleichbedeutend mit einer bestimmten elektrischen Spannung ist.

Synapsen sind quasi kleine Neuronen. Sie feuern auf einem viel geringeren Energieniveau bereits, wenn sie von abgeschwächten Aktionspotentialen aus Axonästen getroffen werden. Diese Aktionspotentiale wiederum stammen aus feuernden Neuronen über Axone und deren Verteileräste.  So wie es Bild 2 zeigt.

Das hier dargestellte Modell-Neuron soll bei einer Ladungsstärke von 5,5 (vereinfachte Dimension, entspricht -55 Millivolt) feuern. Dazu braucht es mindestens 6 Impulse aus einer externen Synapse mit der Stärke 1, denn elektrische Ladungen addieren sich am Ziel. Auf eine Dimension dieser Ladungen habe ich bewusst verzichtet, denn die Größe »Coulomb, gemessen in Amperesekunden«, benötigte zum Verständnis einen intensiven elektrotechnischen Exkurs. Lassen wir es deshalb einfach bei »Ladung«. – Eine »Ladung« 5, also 5 Impulse aus den Synapsen, würde demnach das Neuron noch nicht feuern lassen. Es wäre jedoch dicht davor, einen Aktionspuls (Aktionspotential) abzugeben, steht also auf »Stand-by«.

Anfangs soll das Neuron auf der Ladung 3 stehen, denn im Gehirn vagabundieren dauernd irgendwelche Aktionspulse, die dann über Synapsen wiederum Impulse auslösen. Alle Neuronen feuern ab und zu. Sie halten sich damit »warm«. Unser Neuron wird deshalb im Mittel mit der Ladung: 5,5 geteilt durch 2 gleich 2,75 aufwarten. Aufgerundet also 3.

Trifft jetzt von der zündenden Synapse (Bild 2 oben rechts) ein Impuls ein, so steigt die elektrische Ladung des Neurons auf den Wert 4. Jeder Zündimpuls lässt also jene Ladung um den Wert 1 wachsen. Nach weiteren 2 Zündungen wird der kritische Feuerwert von 5,5 überschritten. Das Neuron feuert. – Es entlädt sich vollständig bis auf den Wert null. Dabei entsteht der beschriebene starke Aktionspuls, der sich über das Axon mit seinen Ästen tausendfach in das Gehirn hinein ergießt. Er überspringt aber auch jene 5 gezeichneten Synapsen. Damit lädt sich das Neuron selbst wieder auf den Wert 5 auf. Steht also wieder auf »Stand-by«. – Immer noch kein Oszillator, denn es braucht für jede weitere Zündung einen Anstoß von außen.

Erst, wenn wir jene Erkenntnisse aus der hebbschen Lernregel hinzuziehen, wird aus dem Schaltkreis ein richtiger Neuronen-Oszillator. – Bisher betrug die Synapsenstärke 1. Wir wissen aber aus STP/LTP, dass jede Signalübertragung eine Synapse verstärkt, und zwar in unserem Modell mit dem 0,1-fachen einer Ladungseinheit. So beträgt die Synapsenstärke nach einem Impuls nicht mehr 1, sondern 1,1. Bei der zündenden Synapse (oben rechts) soll jedoch die Stärke 1 erhalten bleiben. 

Wenn jetzt das Neuron noch einmal gezündet wird, dann lädt der eigene Aktionspuls dasselbe Neuron bis zu seiner Feuerschwelle auf, denn 5 mal 1,1 ist gleich 5,5 und das Neuron soll ja in unserem Oszillator bei einer Ladung von 5,5 feuern. − Damit löst jeder weitere Aktionspuls das Neuron selbst wieder aus. – Der Oszillator schwingt.

Die Verzögerungszeit eines Neurons einschließlich einer Synapse beträgt ca. 2 Millisekunden. Damit kann der Oszillator 500 mal in einer Sekunde feuern, was einer Maximalfrequenz von 500 Hertz entspricht.

Bleibt die Frage: Wer schaltet solche Neuronen-Oszillatoren wieder ab? Denn immer mehr zugeschaltete Oszillatoren würden einen Gedankensturz im Gehirn herbeiführen. Epilepsieartige Anfälle mit anschließendem Koma wären die Folge. Es muss also diesen Schalter geben. – Hier konnten Wissenschaftler bereits helfen. Sie fanden nicht nur verstärkende Synapsen, sondern auch hemmende, deren Steuerdetails bisher jedoch nicht greifbar sind.

Verschachtelte Oszillatoren

Aber wir sind noch nicht ganz durch. Kann doch dieser einfache Neuronen-Oszillator mit nur einer Feuerstelle noch keine Gedanken speichern. Dafür braucht er je nach Gedankenart 1.000, 20.000 oder sogar 2 Millionen feuernde Neuronen. Erst dann kann er einen Gedanken aufnehmen, tragen und wiedergeben. Ihn mit seinem ureigenen räumlich/zeitlich verteilten Feuerrhythmus ins Bewusstsein treiben. Dort erscheint er dann schemenhaft mit einem emotionalen Erkennungssignal.

Um diesen Gedankensprung ohne Fehlinterpretationen zu überstehen, betrachten wir zunächst mehrfach gekoppelte Oszillatoren.

Bild 3 zeigt einen immer noch sehr einfachen Dreifach-Neuronen-Oszillator. Die Symbole gelten gleich Bild 2.

Wie in Bild 2 enden von jedem Neuron 5 Axonäste an den jeweils zugehörigen Synapsen. Auf der anderen Synapsenseite beginnen wiederum Dendriten, die sich auf beide restlichen Neuronen verteilen. Somit wird jedes feuernde Neuron mit seinem Aktionspuls die Ladungen aller anderen Neuronen erhöhen. Aktionspulse sowie schwächere Synapsenpulse durchlaufen ineinander verschachtelte Stromkreise. Damit werden alle Neuronen gleichmäßig erschlossen.

Um diesen Oszillator zu verstehen, müssten wir wie bei Bild 2 alle Zustände gedanklich durchspielen. Die dafür notwendige »Sisyphusarbeit« möchte ich Ihnen jedoch ersparen und habe deshalb alle möglichen Schaltzustände anhand einer Excel-Tabelle für Sie durchgespielt.

Hier das Ergebnis: Wird nur ein Neuron angestoßen, so beginnt der Oszillator nach 17 kleinen Syapsenpulsen zu schwingen. Allerdings feuern die Neuronen nicht synchron, denn kleine Laufzeitunterschiede in den Synapsen, den Axonästen sowie den Dendriten werden ihre Aktionspulse aus dem Takt bringen. Damit zeigt dieser Oszillator bereits einen ureigenen Feuerrhythmus, der ohne weiteres als unverwechselbares Signal gelten könnte.

Bei gleichzeitigen Zündimpulsen an 2 Neuronen reichten im Modell schon 12 Impulse für eine selbstständige Schwingung. Wenn alle 3 Zündeingänge angesteuert wurden, beginnt dieser Neuronen-Oszillator schon nach 5 Zündversuchen zu schwingen.

Wer mit diesem kleinen »Denkgebäude« umgehen kann, wird schnell auch den Denksprung zu größeren Erinnerungs-Oszillatoren nachvollziehen können. Doch die Vorstellung von 10 Billionen Synapsen, jede mit einer eigenen Dynamik ist nicht annähernd greifbar. Und genau dies ist der Grund, weshalb wir für unsere Gehirne begreifbare und dennoch ausreichend exakte Wirkmodelle brauchen. Erst dann verstehen wir nicht nur ihre Funktionen, sondern auch ihre daraus entspringende, lebensprägende soziale Dynamik. Das Oszillatorprinzip stellt stellt das einzige Modell dar, das diese Ansprüche erfüllt.