Erbliche Intelligenz - Fakt oder Fata Morgana?
Chancengleicheit droht zu scheitern!
Aus der Serie: Phänomene im Gehirn
Eliten blickten schon Jahrtausende verächtlich auf scheinbar dumme, einfältige Leibeigene und Untergebene. Erst mit der Aufklärung unserer Zeit keimte Hoffnung auf sozialen Aufstieg bei Chancengerechtigkeit.
Offenbar doch nur ein Traum. Denn was früher Tyrannen besorgten, besorgen heute Medien. Sie berufen sich dabei auf Intelligenztests, die mit Korrelationsrechnungen statistisch aufbereitet worden sind. −Intelligenz soll bis zu 80 Prozent erblich sein. – Das bedeutet doch: Chancengleichheit und Milliardenschwere Förderprogramme gehören auf den Scheiterhaufen, denn sie spenden unter diesem Vorzeichen nur Frust und trügerische Erwartung. Der soziale Käfig bleibt für immer geschlossen. – Müssen Menschen im 21. Jahrhundert wirklich mit diesem Stigma leben?
Doch lassen Sie uns ein wenig hinter die Kulissen der »Intelligenztest- und Korrelationsküche« schauen.
Das letzte recht umfassende Werk zu diesem Thema schrieb der anerkannte Wissenschaftsjournalist Dieter E. Zimmer. Sein 2012 erschienenes Buch »Ist Intelligenz erblich?« beweist für viele Zeitgenossen scheinbar unanfechtbar die 80-Prozent-These als Realität.
Intelligenztests und Korrelation
Das »Messgerät«, um Intelligenz zu ermitteln, ist der Intelligenztest. Gemessen wird damit der Intelligenzquotient (IQ). Dabei handelt es sich um die Auswertung von recht schnell zu lösenden Aufgaben aus verschiedenen Wissensgebieten wie Sprache, Mathematik, logisches Denken und so weiter. Die Aufgaben sind so schwierig, dass eine durchschnittlich begabte Testperson 100 Punkte erreicht, Minderbegabte weniger, Hochbegabte mehr. Die Hälfte aller Testpersonen erreicht zwischen 90 und 110 Punkte, sodass bei einer Testreihe dieses Werteband ziemlich genau zu 50 Prozent vorkommt. Die gesamte Skala der gemessenen Intelligenz reicht in der Praxis von 50 bis 150 Punkte. Beispiele für solche Tests finden Sie reihenweise im Internet.
In seinem Buch berichtet Dieter E. Zimmer über Intelligenztests mit getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen. Ihre Erbanlagen sind annähernd gleich. Soziale Einflüsse auf ihre Entwicklung aber zufällig. Bild 12 und 13 zeigen die Grundlagen der Auswertung für den Intelligenzvergleich. Jedes Diagramm repräsentiert aus einer Modellrechnung die Ergebnisse von zwei gegeneinander ausgewerteten Testreihen mit je 30 Intelligenztests.
Eine Korrelationsrechnung erschließt daraus, wie unabhängig die Intelligenzen aller Testpaare untereinander sind. Bei zufällig ausgesuchten Testpartnern entsteht danach der Korrelationsquotient NULL, wie bei Bild 12. Wenn die korrespondierenden Ergebnisse jeweils gleich wären, würde das Ergebnis den Wert 100 Prozent zeigen. Die Wertespannweite reicht von -100 bis +100 Prozent, oft auch angegeben von -1 bis +1.
Bild 13 zeigt die Ergebnisse von eineiigen Zwillingspaaren, die in früher Kindheit getrennt wurden, also bis zum Test mit etwa 20 Jahren scheinbar nur noch ihre Gene gemeinsam hatten. Kein gemeinsames Elternhaus, keine gemeinsame Schule.
Wertung der Ergebnisse
Alle bisherigen Wertungen von Intelligenztests entstanden ohne eine Vorstellung von der Funktion unseres Gehirns. Kein Wunder, dass mit dem Oszillatorprinzip die Wertung praxisnäher ausfällt, denn es erklärt, wie wir lernen, erinnern, denken sowie entscheiden und warum Gehirne ihre Träger erfolgreich oder erfolglos führen.
1. 40 statt 80 Prozent? Dieter E. Zimmer ermittelte 40 Prozent Korrelation für die Intelligenz eineiiger, etwa 20-jährigen Zwillinge. Die fast ausschließlich verbreiteten 80 Prozent entstehen im höheren Lebensalter. Ein Phänomen, das wir erst später aufklären können. Im Lebensabschnitt um 20 Jahre herum entscheidet sich jedoch der berufliche- und soziale Lebensweg, sodass diese Ergebnisse dominierend relevant sind.
2. Keine physiologischen Intelligenzmerkmale. Trotz intensiver Suche konnten Wissenschaftler im Gehirn bisher keine erblichen physiologischen oder biochemischen Intelligenzmerkmale wirklich sichern. Es gibt nur Spekulationen.
3. Den wichtigsten Lebensparameter vergessen. Etwa 1.500 Charaktereigenschaften motivieren oder demotivieren die Intelligenzbildung. Der führende Charaktertreiber dabei ist die eigene Attraktivität. Sie führt permanent zu wiederkehrenden sozialen Erfolgen oder Misserfolgen, die von unseren Gehirnen als Charakterbildung reflektiert werden. – Charakter folgt der Attraktivität. Deshalb beurteilen Menschen oft aus dem ersten Eindruck heraus treffend viele weitere Wesensmerkmale. Doch keine der von Herrn Zimmer verwendeten Testreihen berücksichtigt die Attraktivität als Parameter, obwohl eineiige Zwillinge fast identische Körpermerkmale vorweisen. – Demnach müssen diese Zwillinge auch nach langer Trennung ähnliche Charaktere, soziale Umgebungen und damit natürlich auch einen gewissen Intelligenzlevel gemeinsam haben.
4. Vielfalt verfälscht Ergebnisse. Intelligenzen weisen etwa eben so viel Facetten auf wie Charaktere und Attraktivitäten. Kein Wunder denn jede Intelligenz entsteht aus Reaktionen des Gehirns gegenüber seiner Umwelt. Deshalb können Intelligenztests nur den gesellschaftlichen Mainstream (Hauptrichtung) erfassen. Individuelle Fähigkeiten, Erkenntnisse zu bilden, bleiben im Dunkeln.
5. Allgegenwärtige Intelligenztests. Schulzeugnisse sind letztlich verkappte Intelligenztests. Damit wird die Gesellschaft manipulierbar ausgerichtet.
Bleiben die Fragen:
- Sind Menschenmassen erst regierbar, wenn sie ausgerichtet sind?
- Oder schafft diese Ausrichtung unnötige Konflikte, die letztlich mit verlorener Kreativität den Fortschritt hemmen.
6. Aus 40 wird 80 Prozent. Mit den Erkenntnissen aus dem vorigen Abschnitt lässt sich auch die mysteriös steigende Korrelation im Erwachsenenalter erklären. Nach dem 20. Lebensjahr stellen sich schnell die Weichen für Beruf und erwarteten Sozialstatus. Menschen kommen zur inneren Ruhe und sehnen sich nach Partnern. Partner mit ähnlichen Ansichten, Vorlieben und ähnlichen Scherzen. Es sind meist Menschen mit ähnlicher Attraktivität. So werden Familien- und Freundeskreise von getrennt lebenden Zwillingen oft ziemlich ähnlich sein. – Stabile Partnerbeziehungen prägen jedoch nachhaltig die menschliche Intelligenz.
7. Was bleibt von den 80 Prozent? Das Überbleibsel an scheinbar erblicher Intelligenz lässt sich nach diesen Überlegungen nur schätzen. Ich tippe auf etwa 10 Prozent. Doch die ersten frühkindlichen sozialen Kontakte unseres Seins schaffen durch Reflektion der Umwelt bereits Strukturen im Gehirn, die alle weiteren Intelligenzentwicklungen prägen. Bleibt letztlich beinahe NULL übrig, denn Zwillingsbabys lebten vor der Trennung fast immer Tage, Wochen oder gar Monate miteinander.
Vielleicht hat sich in einigen Lesergehirnen der Verdacht formiert, dass Intelligenz mit der Attraktivität wächst. Schließlich entwickeln schon attraktive Kleinkinder ein höheres Selbstwertgefühl. Dies macht sie lebenslang weniger Anfällig für falsche Vorbilder und deren Gewohnheiten. Anderseits fördert es auch geistige Behäbigkeit. Weniger attraktive Zeitgenossen entwickeln dafür oft Trotzreaktionen nach dem Motto: „Denen werde ich es zeigen“. – Beide Entwicklungslinien scheinen sich bisher die Waage zu halten.
Dennoch sind Führungsposten äußerst häufig mit attraktiveren Menschen besetzt. Attraktiv gegenüber ihrer Umgebung, also größer, kräftiger und schöner. Mehr darüber steht unter »Erfolgsfalle Attraktivität«